Die Wahrheit über die Computersucht
Blass, nervös und isoliert: Computersüchtige haben ihr Leben nicht mehr im Griff. Ein Berliner Sozialpädagoge berichtet auf WELT ONLINE von seinen Begegnungen mit besonders heftigen Fällen – und erklärt, wie er den PC-Junkies neue Hoffnung gegeben hat.
Ich bin kein Kulturpessimist. Viele Computerspiele, die auf den Markt kommen, finde ich hoch spannend und grafisch großartig gestaltet. Und natürlich ist nicht jeder, der viel Zeit vor dem Computer verbringt, gleich ein Süchtiger. Einige aber verlieren völlig die Kontrolle. Ein 19-Jähriger, der kürzlich zu uns in die Gruppe kam, hatte über einen Zeitraum von zwei Jahren 300 Tage (in Stunden zusammengerechnet) das Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ gespielt.
Er war blass und kam mit deutlichem Untergewicht zu uns. Er hatte vor dem Bildschirm immer wieder vergessen zu essen. Tag und Nacht hatte er gespielt. Erst flog er von der Schule, lebte dann einige Zeit von Hartz IV, kam schließlich den Anforderungen des Jobcenters nicht mehr nach. Irgendwann konnte er seine Rechnungen nicht mehr zahlen, und ihm wurde der Strom abgedreht. Er musste spielen, immer mehr und zu jeder Zeit, um auf ein Glücksgefühl zu kommen.
Manche Computerspieler verlassen den Computer nicht einmal mehr, um auf die Toilette zu gehen. Sie pinkeln in Flaschen, um beim Spiel nichts zu verpassen. Jede Sekunde, in der ihr Teilnehmerstatus im Online-Rollenspiel auf AFK (Away from Keyboard) steht, gefährdet den Spielerfolg. Es droht der totale Realitätsverlust. Süchtige fallen aus der Zeit. Schüler kommen nach den Ferien eine Woche zu spät in die Schule, Angestellte vergessen nach dem Wochenende wieder zur Arbeit zu gehen.
Unser 19-Jähriger war ein wahrer Meister im Spiel „World of Warcraft“. Hier kreiert man über einen langen Zeitraum hinweg einen sogenannten Avatar, ein virtuelles Ich, und konkurriert oder paktiert im Netzt mit anderen Spielern. Die sozialen Kategorien des wirklichen Lebens werden hier abgebildet. Es geht um Anerkennung, Respekt, Hierarchien, Macht und sozialen Aufstieg. Der junge Mann war ein richtiger Krieger und genoss es, in dieser Rolle zu sein. Im echten Leben liefen die Dinge für ihn nicht so gut. Im Laufe der Zeit hatte seine Figur durch taktisches Geschick immer mehr zu bieten. Er hatte unzählige Gegner erlegt, Gold gesammelt und immer neue Waffen erworben.
Das_Böse1991 - 2. Mär, 07:35